Martina Wald ist Künstlerin und Zeichencoach. In diesem Interview stellt sich Martina meinen Fragen und erzählt von den verschiedener Bereichen ihres vielfältigen Tuns.
Du machst ja unter anderem Jazz Drawings, d.h. Du zeichnest Musiker live während sie spielen. Wie war es für Dich anfangs so öffentlich zu zeichnen? Und ist es mittlerweile anders?
Martina Wald: Ich habe von Anfang an viel unterwegs gezeichnet, also unter Menschen z.B. in Cafés oder am Flughafen. Während der Konzerte kommt es schon vor, dass mir Leute auf´s Papier schauen. Je nach Stimmung macht mir das mal mehr aus, mal weniger. Aber es hält mich nicht vom Zeichnen ab. Ich lebe damit.
Wenn ich zeichne, mache ich meine Arbeit, da kann ich mich nicht von Blicken anderer abhalten lassen.
Ich hatte mal das Glück, während eines Konzertes, die bekannte Fotografin Barbara Klemm bei ihrer Arbeit beobachten zu können. Sie verhielt sich zurückhaltend, aber es machte ihr nichts aus, für das Publikum sichtbar zu werden, wenn sie sich mit dem Fotoapparat den Musikern auf der Bühne näherte. Ihre Ruhe und Gelassenheit mit der sie das tat, was nötig war, hat mich sehr beeindruckt. Ich erinnere mich daran, wenn ich mich selbst mal unsicher fühle.
In Martinas Zeichnungen liegt der Jazz
Und wie reagieren die Musiker?
Mein Zeichenblock ist ja eher klein und ich zeichne relativ unauffällig. Manchmal merke ich, dass ich einem Musiker von der Bühne herunter auffalle. Durch verschiedene Begegnungen und Gespräche weiß ich inzwischen, dass mein Zeichnen oft für Schreiben gehalten wird und so mancher denkt wohl, ich mache mir Notizen für eine Konzertkritik.
Können Dich Musiker auch buchen?
Tatsächlich erhalte ich manchmal Anfragen von Musikern, die nach Fotografien portraitiert werden wollen. Andere wiederum möchten, dass ich für sie berühmte Musiker zeichne. Ich erkläre ihnen dann immer, dass ich ausschließlich live vor Ort zeichne und es mir nicht auf die individuelle Persönlichkeit ankommt, sondern darauf, die Musik im Moment ihres Entstehens sichtbar zu machen.
Machst Du selber auch Musik?
Ich spiele kein Instrument und ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Musik kein Thema war. Wenn mir mein Mann nicht die Musik und speziell den Jazz geschenkt hätte, also mir nicht den Zugang dazu ermöglicht hätte, würde ich wahrscheinlich heute noch überall erzählen, ich sei unmusikalisch. Aber offensichtlich stimmt das nicht. Wenn ich während der Konzerte die Musiker mit meinem Stift improvisierend begleite, erlebe ich die Musik unmittelbar und es fühlt sich so an, als sei mein Stift eine Art Musikinstrument. Wenn mir Musiker sagen, sie könnten den Jazz in meinen Bildern hören, ist das für mich eine wundervolle Bestätigung.
Du hat Kunstgeschichte studiert, hast Du in der Zeit bereits gezeichnet?
Eigentlich habe ich Kunstgeschichte studiert, weil ich mich nicht getraut habe, Kunst zu studieren. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich nicht traut, jemanden seine Zeichnungen zu zeigen. Ich weiß, wie es schmerzt, wenn man sich für etwas, das man eigentlich liebt, so sehr schämt, dass man es schließlich gar nicht mehr macht. Wie viele andere auch, bekam ich keinerlei Unterstützung und ich habe mich völlig allein gelassen gefühlt. In meinen Zeichenworkshops versuche ich nun, den Teilnehmern ein Gefühl der Wertschätzung ihres unverwechselbaren Zeichenausdrucks zu vermitteln.
Hand aufs Herz: Zeichnest Du jeden Tag?
Erwischt! Ich würde es so formulieren: ich zeichne meistens jeden Tag. Wenn ich es nicht tue, merke ich es relativ schnell, weil dann irgendwas nicht mit mir stimmt. Ich fühle mich dann angespannt und allgemein nicht wohl in meiner Haut. Wenn ich dann wieder zeichne, lösen sich zwar nicht alle meine Probleme sofort in Luft auf, aber ich bin mir wieder bewusst wer ich bin und von dieser gesicherten Position aus kann ich mit Herausforderungen leichter umgehen. Wir glauben ja oft, erst, wenn wir alles andere auf die Reihe bekommen haben, dieses und jenes richtig läuft und wir irgendwann mal ganz viel Zeit haben, DANN können wir uns erlauben zu zeichnen, zu malen oder was auch immer. Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus. Wenn wir uns erlauben zuerst und vorrangig uns selbst auf unsere ureigene Weise auszudrücken, dann erst fängt unser Leben an, auch in anderen Bereichen rund zu laufen.
Die Rolle des Zeichnens
Wie ist es mit anderen Techniken, wie Malen, Drucktechniken etc. Reizt Dich das auch?
Ein Stift und Papier, mehr brauche ich nicht. Das zu akzeptieren hat bei mir übrigens ziemlich lange gedauert. Als ich begann Kurse in einer privaten Akademie zu besuchen, glaubte ich, ich wollte bzw. ich müsste Malerin werden. Blöderweise hat mich das Malen nie interessiert, was mich wiederum daran zweifeln lies, ob ich überhaupt eine “richtige” Künstlerin bin. Auch mein damaliger Lehrer fing an, mich in Richtung Malerei zu drängen und ich rutschte damals in eine richtige Krise. Es hat eine Weile gedauert bis ich begriff, dass nur ich selbst wissen kann, welches Material zu mir gehört und dass ich mich gegen allgemeine Ansichten und Vorstellungen anderer durchsetzen muss.
Welches Material nutzt Du besonders gerne?
Ich bin meistens mit meinem Tintenstift unterwegs. Im Zweifel kann ich da schnell mal mit einen nassen Finger ein paar Schatten hinwischen. Für Portraits benutze ich am liebsten einen sehr weichen Bleistift und/oder einen weichen Graphitblock. Das sind die Materialien, die mit mir am besten zusammenarbeiten können.
Hast Du ein Lieblingsprojekt aus Deinem Schaffen oder ein Bild von Dir, das Dir besonders am Herzen liegt?
Meine Lieblingsbilder sind eigentlich immer die, von denen ich hinter nicht mehr sagen kann, dass ich sie gemacht habe, also Zeichnungen, von denen ich behaupten würde, dass ich gar nicht die Fähigkeit habe so zu zeichnen. Ich glaube nämlich, um Kunst entstehen zu lassen, braucht es nicht nur den Künstler und sein Material, sondern noch einen weiteren Aspekt, den man aber kaum benennen kann. Man kann vielleicht Inspiration dazu sagen. Man zeichnet so, wie man eben zeichnet, akzeptiert genau das, wie man es eben macht und dadurch wird man offen für Einflüsse, die außerhalb der eigenen beschränkten Vorstellungskraft liegen. Weil man alles zulässt und akzeptiert und anerkennt, ohne es zu bewerten, kann plötzlich etwas auf´s Blatt kommen, von dem man nicht wusste, dass es möglich sein würde. Das ist etwas schwierig zu beschreiben, weil solche Vorgänge sich außerhalb des sprachlich gebundenen Denkens abspielen und man kann sie nicht wirklich gut mit Wörtern erklären.
Wie kommst Du mit Perfektionismus zurecht, das ist ein Thema für viele Kreative, wie ist es bei Dir?
Kunst perfekt machen zu wollen, macht keinen Sinn. Kunst kann per se nicht perfekt sein, weil es keine perfekten, also vollkommenen Menschen gibt. Wenn wir Kunst machen, wollen wir ja nicht das ultimative, für alle Zeiten maßgebliche und gültige Werk erschaffen, sondern wir erforschen und wir probieren aus, was entstehen kann. Perfekt sein wollen, ist eine gewisse Art von Feigheit. Diesen “Anspruch” zu haben, bedeutet nichts anderes, als dass man sich nicht traut, zu seinem einzigartigen Ausdruck zu stehen. Und das ist nämlich der Knackpunkt an der Sache. Man kann mit seiner Kunst nur dann andere berühren und unmittelbar ansprechen, wenn man aus seiner ganzen einzigartigen und unverwechselbaren Fehlerhaftigkeit heraus etwas entstehen lässt. Das Fehlerhafte ist das, was uns zu Menschen macht und weshalb wir Verständnis und Mitgefühl füreinander aufbringen können. Ich glaube, wir laufen alle immer mal wieder in diese Gedankenfalle, dass wir nur geliebt werden, wenn wir perfekt sind oder etwas Perfektes machen, aber diese Gedanken muss man ganz schnell wieder abschütteln.
Welche Sachen machen Dir bei Deiner Arbeit besonders viel Spaß?
Eine unglaubliche Freude ist es mir, wenn ich die Teilnehmer meiner Workshops davon überzeugen kann, wie gut und unverwechselbar sie zeichnen können. Es kann nämlich jeder zeichnen, der auch nur den leisesten Wunsch hat, zeichnen können zu wollen. Das reicht völlig aus. Bum. Wunsch erfüllt. Ja, es gibt viele Menschen, die nicht zeichnen können, aber Gott sei Dank wollen sie das auch nicht. Sie kommen gar nicht auf die Idee, es zu wollen. Und das macht den Unterschied. Zu allem, zu dem man sich hingezogen fühlt, hat man eine natürliche Fähigkeit. Das hat der liebe Gott sehr gut eingerichtet. Und wenn ich merke, dass es mir gelungen ist, dass ein Zeichner oder eine Zeichnerin den eigenen Ausdruck zulassen kann und diesen Ausdruck wertschätzt, dann höre ich alle Engel Halleluja singen.
Und was machst Dir weniger Spaß, magst Du das auch verraten?
Buchhaltung.
Welchen Tipp hast Du als Zeichencoach für Menschen, die mit ihren Zeichnungen nicht zufrieden sind. Wie könnten sie sich motivieren?
Viele, die mit ihren Zeichnungen unzufrieden sind, haben sich angewöhnt nach Fotos zu zeichnen und sie glauben, nur wenn man in der Lage ist, Fotos fotorealistisch aufs Papier zu übertragen, könnte man zeichnen. Da ist Unzufriedenheit vorprogrammiert und außerdem hat es nichts mit zeichnen können zu tun. Ich empfehle jedem, ausschließlich nach der Natur zu zeichnen. Wer das wirklich macht (wirklich macht!), spürt schnell, dass es da um mehr geht, als um bloßes Abzeichnen. Zwischen dem Motiv und dem Zeichner baut sich eine Beziehung auf. Man kann das gar nicht verhindern. Der Zeichner erlebt das Motiv unmittelbar, und die Zeichnungen, die dabei entstehen, dokumentieren dieses Erlebnis. Nach einer Weile kann auch der selbstkritischste Zeichner nicht mehr leugnen, dass da etwas Besonderes und Einmaliges entsteht.
Nächste Projekte von Martina
Was hast du als nächstes vor?
Der Termin des nächstens Zeichenworkshop steht fest. Ich komme wieder nach Köln und zwar am Samstag, den 24. Oktober. Wer Lust hat, kann sich auf meiner Website für meinen Newsletter eintragen (den ich übrigens online-Magazin nenne, das klingt irgendwie cooler), um dann immer über alle Termine aktuell informiert zu werden.
Und was wünscht Du Dir für die Zukunft wenn es um Deine Arbeit geht als Künstlerin aber auch als Zeichencoach?
Ich bin dabei, einige meiner Texte übers Zeichnen zu einem Buch zusammenzustellen und ich wünsche mir natürlich, dass es sehr viele Menschen lesen wollen.
Ich wünsche mir, weiterhin Workshops in verschiedenen Städten anbieten zu können und zwar immer öfter immer mehr. Ich plane zwar auch einen online-Workshop, aber es geht einfach nichts über die persönliche Begegnung zwischen Mensch und Mensch. Und ich wünsche mir mindestens 3 Monate lang durch die USA zu reisen und jeden Abend an einem anderen Ort in einem anderen Jazzclub zu zeichnen. Ich glaube zwar, dass Wünsche manchmal einfach so erfüllt werden, aber ich glaube auch, dass es nichts schadet, an deren Erfüllung aktiv zu arbeiten, deshalb: Ich zeichne weiter und ich schreibe weiter übers Zeichnen und wann immer es geht, bin ich unterwegs, um in meinen Workshops Zeichnerinnen und Zeichner für ihr eigenes Zeichnen zu begeistern.
Vielen Dank für dieses Interview, Martina!
Martina Wald ist Zeichnerin und Zeichencoach. Sie hilft Künstlern und anderen Menschen, die sich selbst in erster Linie nicht als Künstler betrachten, aber das Zeichnen lieben, den Mut aufzubringen auf ihre ganz eigenständige Art und Weise selbstbewusst und mit viel Freude zu zeichnen.
Seit 2009 veranstaltet sie Zeichen-Workshops in Frankfurt am Main, München, Köln und Wien. In diesen Workshops erleben die Teilnehmer, dass Zeichnen nichts mit Durchbeißen, Frust und Fehler korrigieren zu tun hat, sondern ganz viel mit Begeisterung und Lebensfreude.
Martina Wald lebt und arbeitet in der Nähe von Frankfurt am Main und auf einer kleinen Insel vor der Küste Südwest-Floridas. Nach dem Studium der Kunstgeschichte hat sie viele Jahre im Buch- und Kunsthandel gearbeitet.
Sie zeichnet seit über 14 Jahren. Seit einigen Jahren verbindet sie das Zeichnen mit einer weiteren großen Liebe, dem Jazz. Jährlich entstehen hunderte von live gezeichneten Musikerskizzen, die sie während unzähliger Jazzkonzerte fertigt und die sie immer wieder in Ausstellungen in Deutschland und in den USA zeigt.
Weitere Infos auf der Webseite: Martina Wald.