Gesche Santen ist Ökologin und Künstlerin. Beide Bereiche verbindet sie auf wunderbare Weise. In diesem Interview stellt sich Gesche meinen Fragen rund um ihr kreatives Schaffen.
Du malst unterschiedliche Motive: Pflanzen, aber auch „drollige Tiere“, wie Du es selber nennst. Woran hängt Dein Herz? Oder ist das eher Tagesform abhängig?
Ach, sehr gute Frage. Mein Herz hängt an beidem und ich könnte keines der Motive aufgeben. Die glupschäugigen drolligen Tiere begleiten mich schon seit der Schulzeit und ich liebe es mich beim Zeichnen in sie hineinzuversetzen. Die Pflanzenmotive sind erst am Ende meines Ökologiestudiums dazugekommen, als ich einen Ausgleich zum Pflanzen messen und zählen brauchte.
So unterschiedlich und wenig kohärent die Motive auf den ersten Blick auch aussehen für mich bedienen sie eigentlich dieselbe Funktion: Wenn ich sie male sehe ich für den Moment die Welt aus einem liebevollen Blickwinkel, was automatisch bei mir (und hoffentlich auch bei anderen) für gute Laune sorgt.
Malen ist ja eine Art Untersuchung, durch das genaue Hinsehen bei allen Details. Reizen Dich als Ökologin die Motive, um sie zu untersuchen oder mehr um die ästhetische Seite zu zeigen?
Malen ist für mich eine Möglichkeit mich auf der Gefühlsebene der Natur zu nähern und meine Freude an Wildpflanzen Ausdruck zu verleihen.
Es ist ein Weg, Schönheit in „gewöhnlichen“ Unkräutern zu finden an denen man häufig unbedacht vorbeigeht. Aber ich kann mein ökologisches Wissen natürlich nicht abschalten, und häufig ist die Freude doch besonders groß, wenn ich eine seltene oder geschützte Art finde und male.
Du malst viel nach der Natur, auch malerisch ungewöhnliche Pflanzen, zB Flechten. Wie kamen die Flechten ins Spiel bei Dir?
Durch meine Digitalkamera. Ich wusste gar nicht wie gerne ich Flechten mag, bis ich eine Digitalkamera gekauft habe und anfing auf all meinen Spaziergängen Fotos zu knipsen. Nach kurzer Zeit stellte sich raus, dass ich ständig kopfüber oder auf Knien mit der Nase in Flechten hing und eine enorme Sammlung an Makro-Flechtenfotos entstanden war. Ich war verzaubert von diesen Formen und Farben und konnte es kaum erwarten, diese irgendwie in Aquarell umzusetzen. Mein erstes Flechten-Aquarell ist immer noch eines meiner Lieblingsbilder und hängt bei mir im Wohnzimmer.
Wie kommst Du mit Perfektionismus zurecht, wenn es um die Pflanzen geht. Ist Dir wichtig, dass Du sie „korrekt“ darstellst?
Mir ist es schon wichtig, dass bei den Wildpflanzen erkennbar ist um welche Art es sich handelt. Allerdings habe ich nicht den Anspruch exakte botanische Illustrationen nach wissenschaftlichem Maßstab zu fertigen. Ich sehe das eher so, dass ich ein Pflanzen-Portrait schaffe. Bei einem Portrait geht es ja auch eher darum den Charakter, die wesentlichen Merkmale, die Essenz des Gegenübers einzufangen. Es ist weniger wichtig, ob nun jedes Haar und jede Sommersprosse wiedergeben ist. Genauso mache ich das mit meinen Pflanzenbildern. Ich entscheide frei welche Details ich weglasse und was auf jeden Fall aufs Papier muss, um das Wesen der Art einzufangen.
Seit ich regelmäßig blogge verarbeite ich meinen Perfektionismus auch übers Schreiben. Ich habe eine Kategorie „Peptalks für Deine Kreativität“ in der ich über Angst vor Fehlern, das Bedürfnis cool zu sein und vieles mehr spreche. Im Prinzip schreibe ich da mein eigenes Selbsthilfebuch und das Thema ist immer das, was mir gerade Probleme bereitet.
Malst Du auch Pflanzen im Auftrag, wenn ein Kunde gerne eine exotische Lieblingspflanze verewigt haben möchte?
Bisher habe ich tatsächlich noch nie im Auftrag von jemanden eine bestimme Pflanze gemalt. (Mit Ausnahme für meine Oma natürlich.)
Es würde mich aber freuen Pflanzen-Portraits auch auf Kundenwunsch anzufertigen und wer Interesse hat, kann sich gerne bei mir melden. Allerdings behalte ich mir vor, mich gegen eine Pflanze zu entscheiden, wenn sie so exotisch ist, dass ich sie noch nie in echt gesehen habe.
Deine Bilder sind sehr ästhetisch. Gibt es auch Pflanzen, die sagen wir mal eher auf Deinem Blatt entstanden sind, die aber in der Natur gar nicht anzutreffen sind?
Bei den Flechten lasse ich meiner Fantasie meist freien Lauf. Ich nutze zwar eines meiner Fotos als Startpunkt, danach male ich aber nach Gefühl, lasse die Aquarellfarbe frei laufen und entscheide spontan, was ich mit den zufällig entstandenen Farbverläufen anstelle.
Die Wildpflanzen hingegen sind alle welche, die es nicht nur so in der Natur gibt, sondern denen ich auch persönlich begegnet bin
Welchen Tipp hast Du für Menschen, die sich schwer tun Pflanzen zu malen?
Fang mit einer Pflanze an, die dir richtig gut gefällt. Es hat keinen Sinn Tulpen zu malen, weil du gerade ein Tulpen-Mal-Tutorial gesehen hast, wenn du Tulpen langweilig und überbewertet findest. Such dir lieber eine Blume, in die du richtig verliebt bist.
Außerdem (und das gilt natürlich für alle Motive, nicht nur Pflanzen) üben, üben, üben und sei nett zu dir im Prozess. Je öfter du dich mit einem Motiv auseinander setzt desto einfacher wird es dir fallen es zu zeichnen oder zu malen. Blüten- und Blattformen wiederholen sich und mit der Zeit entwickelst du deine eigenen Tricks um beispielsweise Blattadern darzustellen. Bloß nicht verrückt machen lassen und zu viele täuschend echt aussehende botanische Illustrationen im Internet anschauen. Du bist schließlich nicht hier, um Bestimmungsbücher zu illustrieren. Und wenn doch, dann sei geduldig. Ich habe diesen Sommer fast nur Wildblumen gemalt und es ist ein deutliche technische Verbesserung zu erkennen zwischen den Bildern vom Mai und denen vom August.
Wenn ich das kann, kannst du das auch :)
Je öfter du dich mit einem Motiv auseinander setzt desto einfacher wird es dir fallen es zu malen. Share on XDein Material ist das Aquarell, wie ist es mit anderen Techniken, wie Malen, Zeichnen, Drucktechniken etc. Reizt Dich das auch?
Ums Zeichnen komme ich ja als Vorarbeit für die Aquarelle nicht drum rum, kann es aber meist kaum erwarten endlich mit der Farbe loszulegen.
Ich habe große Lust Drucktechniken, wie Linoldruck auszuprobieren und wüsste auch schon genau, was ich damit anstellen würde. Da ich aber immer mehr Ideen als Zeit habe, sind Druck-Experimente bisher auf der Strecke geblieben.
Welche Sachen machen Dir bei Deiner Arbeit besonders viel Spaß?
Der Malprozess an sich ist mit Abstand das Beste! Da kommt nichts gegen an. Aber auch der Moment wenn mir etwas ins Auge springt und ich Lust habe es zu malen, dieser Augenblick des Innehaltens, in dem ich etwas sehe, was gerade kein anderer wahrnimmt, ist zauberhaft und aufregend zugleich.
Was gibt es bei Dir als nächstes zu sehen, woran arbeitest Du?
Zurzeit arbeite ich daran meine Pflanzenportraits auszubauen. Ich möchte sie gerne um ihre ökologische oder kulturhistorische Bedeutung ergänzen und die verschiedenen Pflanzen kombinieren, sodass eine Art „Botanischer Gruß oder Wunsch“ entsteht, der gegeben falls personalisierbar ist. Da bin ich gerade am Herumexperimentieren.
Außerdem habe ich diesen Herbst den „Malenden Naturforscher“ ins Leben gerufen: eine monatliche Mail, in der ich zur Jahreszeit passende Tipps und Ideen fürs Skizzenbuch liefere. Darauf aufbauend möchte ich auf dem Blog weiter Natur-Inspiration teilen und Menschen helfen, die Lust haben Wildpflanzen zu malen und ihrer Liebe zur Natur künstlerisch Ausdruck zu verleihen, aber nicht wissen, wie sie anfangen sollen.
Wir haben jetzt schon ein bisschen weniger Grün draußen, was malst Du im Winter?
Noch ist der Herbst ja im vollen Gange und Beeren, Nüsse, Pilze und buntes Laub bieten genug Farbe. Der Efeu blüht gerade gelb und bildet über den Winter violette Früchte, der Aronstab steht demnächst rot im Buchenwald und die Pfaffenhütchen leuchten einem knallpink entgegen. Es ist also ein Irrtum, dass der Winter ganz farblos daherkommt. Es gibt in der Natur immer was zu entdecken, z.B. können auch vertrocknete Samenstände sehr schön aussehen.
Außerdem ist der Winter mit seiner erhöhten Luftfeuchtigkeit die perfekte Jahreszeit für Moose, Flechten und Baumpilze.
Vielen Dank für dieses Interview, Gesche.
Gesche Santen ist studierte Ökologin und Künstlerin. Nach ihrem Master of Science in Landschaftsökolgie an der Universität Münster merkte sie schnell, dass Natur zählen und messen allein nicht ausreicht. Also entstaubte sie ihren alten Aquarellkasten und teilt seit dem ihre Zeit zwischen Umweltschutz und künstlerischem Schaffen.
Sie liebt es mit Bestimmungsbuch und Aquarellfarben die Vielfalt und den Zauber der heimischen Flora einzufangen. Auf ihrem Blog teilt sie Inspiration und Motive direkt aus der Natur und schreibt über Kreativität und Naturverbundenheit. Sie lebt in der Nähe von Münster und genießt lange Spaziergänge trotz des westfälischen Nieselregens.